Esther – fünfundvierzig

Esther – fünfundvierzig

Seine Berührungen machten mich wahnsinnig. Sie erinnerten mich daran, dass es schon wieder unglaublich lange her war, dass ich das letzte Mal Sex gehabt hatte – und das waren keine adäquaten Gedanken, wenn man gerade seine Mutter am Apparat hatte.

„Ich weiß, du hast gesagt, wir sollen wieder nach Hause fahren“, sagte Mama in dem Moment. „Aber Papa und ich machen uns Sorgen um dich. Wir hätten dich fast verloren … was hältst du davon, wenn du uns besuchen kommst?“

„Was soll ich?“, fragte ich und griff unbewusst nach meiner Kette.

„Uns besuchen“, wiederholte meine Mutter geduldig. „Nur übers Wochenende. Wir würden dich so gerne sehen, Esther.“

„Wann … jetzt?“, fragte ich überrumpelt. „Du meinst, dieses Wochenende?“ Meine Augen huschten zu Eric, der noch immer so verdammt knapp vor mir stand, dass ich seinen maskulinen Duft bei jedem Atemzug in die Nase bekam. Er sah mich nüchtern an und ich wusste nicht, was ich tun sollte. Die Situation überforderte mich. Gerade noch hatten wir gestritten und jetzt fand ich die Vorstellung, zu meinen Eltern zu fahren, furchtbar, weil ich mich ihm am liebsten an den Hals geworfen hätte. Es war erbärmlich.

Eric griff nach meinem Handy und nahm es mir kurzerhand aus den Fingern. Ich war so perplex, dass ich ihn nur anstarrte.

„Hallo Stephanie“, sagte er ins Telefon. „Wir würden wahnsinnig gern das Wochenende bei Ihnen draußen verbringen. Es ist doch okay, wenn ich mitkomme, oder?“

Die Antwort meiner Mutter konnte ich nicht verstehen, aber ihre Stimme klang aufgeregt und kein bisschen ablehnend.

„Wunderbar.“ Eric lächelte. „Dann sehen wir uns morgen. Ich verspreche Ihnen, dass ich gut auf sie aufpasse.“

 

Wir fuhren mit seinem Porsche. Es war ein total seltsames Gefühl, meine Tasche für das Wochenende zu packen und zu wissen, dass Eric mitkommen würde. Natürlich wusste ich, dass er mit meinen Eltern ins Gespräch gekommen war, als ich noch im Koma gelegen hatte, aber es war doch etwas anderes, Dinge zu wissen, oder Dinge zu erfahren. In Kürze würde ich jedenfalls erfahren, wie es sich anfühlte, Zeit mit Eric und meinen Eltern in meinem alten Zuhause zu verbringen. Irgendwie ging mir das alles zu schnell und gleichzeitig fühlte es sich total richtig an.

„Du hast echt nette Eltern“, sagte Eric, als wir in die Auffahrt zu unserer Garage einbogen.

„Ich weiß“, sagte ich. „Ich verdanke ihnen viel.“

Er schaltete den Motor ab und blieb einen Moment stumm sitzen, während er unser Haus betrachtete. Auf seinen Zügen spiegelten sich mehrere Gefühle wider, allen voran Schmerz und auch so etwas wie Resignation. Ich hätte ihn gern gefragt, woran er dachte, aber ich wollte nicht in ihn dringen und griff nur nach seiner Hand, um sie zu drücken. Dann stiegen wir aus.

 

Meine Eltern hatten sich natürlich viel zu viel angetan. Meine Mutter hatte gekocht, als ob die Queen mit ihrem ganzen Hofstaat kommen würde und mein Vater hatte den Rasen so penibel gemäht, dass es aussah, als ob er ihn mit der Nagelschere nachbearbeitet hätte. Eric schien die leichte Hektik meiner Eltern jedoch nicht zu stören, im Gegenteil, schon nach einer halben Stunde sah er so gelöst aus, wie ich ihn noch nie gesehen hatte. Das hier war okay für ihn, merkte ich. Meine Eltern waren keine Groupies oder verrückten Fans, sie waren meine Eltern, und er lächelte mich oft an und zwinkerte mir zu, wenn sie irgendwelche peinlichen Geschichten auspackten, die ich lieber in eine Kiste getan und für alle Zeiten im Garten verbuddelt hätte.

Und obwohl ich anfangs total skeptisch gewesen war, wie es sich anfühlen würde, das Wochenende mit Eric und meinen Eltern zu Hause zu verbringen, war ich schon nach kurzer Zeit einfach nur froh, dass er mitgekommen war.

Als es Abend wurde, spürte ich die Müdigkeit in meinen Knochen. Obwohl ich keine Folgeschäden von dem Unfall davongetragen hatte, war ich schneller erschöpft als früher. Und wahrscheinlich würde das auch eine Weile noch so bleiben.

„Esther … ich glaube, du solltest dich hinlegen“, sagte meine Mutter, als mir beim Schaukeln auf dem Verandastuhl mal wieder die Augen zufielen.

Mein Vater sah mich besorgt an und nickte, während Eric sofort auf die Beine sprang. „Ich bring dich in dein Zimmer.“

Ich nahm seine angebotene Hand und stand ebenfalls auf. Dabei versuchte ich, die leichte Nervosität, die mich überkam, zur Seite zu drängen. Bisher hatte ich mir noch gar keine Gedanken gemacht, wo Eric schlafen würde. Meine Eltern hatten zwar ein Gästezimmer, aber das wurde derzeit gerade renoviert. Ich fing den Blick meiner Mutter auf, die meine Gedanken zu lesen schien.

„Ich habe Eric eine Matratze in dein Zimmer gelegt“, sagte sie ruhig. „Ich hoffe, das ist okay für euch.“

5 thoughts on “Esther – fünfundvierzig

  1. Also jetzt muss ich aber auch mal meckern: was passiert denn nachdem Eric das Telefongespräch mit Esters Mutter beendet?
    Beide sind sowas von scharf aufeinander und ihr übergeht das!
    Liest sich total merkwürdig und abgehackt…

    Ansonsten lese ich eure Story mit Begeisterung und freue mich auf jeden neuen Blogeintrag!
    Weiter so!

    1. Ich war auch etwas irritiert als nach dem Telefonat nichts mehr kam, da sie sich ja erst am nächsten Tag wieder treffen.

      Eine kleine Abschiedsszene wäre schön gewesen?

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