Esther – zwölf

Esther – zwölf

„Zwei Latte mit Sojamilch, einen Espresso und zwei große Cappuccino“, rief mir Greg zu.

„Kommt sofort“, rief ich zurück, platzierte Tassen und Becher unter der Maschine, schenkte die Milch ein, schäumte sie auf und stellte die heißen Getränke nacheinander auf die Theke. Mittlerweile musste ich nicht mehr über jeden Zubereitungsschritt nachdenken und die Handgriffe erfolgten fast schon automatisch.

„Du machst das super“, bestärkte mich Greg und tätschelte mir auf die Schulter, während im Radio irgendein beschwingter Song lief, den ich nicht kannte. „Du lernst schnell.“

„Danke“, erwiderte ich und lächelte. Es tat mir gut, beschäftigt zu sein und nicht an Tim und seinen Auftritt vor ein paar Tagen denken zu müssen. Denn seit er bei mir aufgekreuzt war, hatte ich nicht nur eine kleine Schürfwunde an der Stirn, nein, er spukte mir auch immer wieder im Kopf herum. Immerhin hatten wir auch eine schöne Zeit und tolle Momente miteinander verbracht – aber hatte es damals tatsächlich Boom-Tschakka-Boom gemacht?

„Willst du mal an die Kasse?“, schob sich Greg in meine Gedanken. Er wies einladend auf den Verkaufstresen.

„Sicher?“, fragte ich. „Ich dachte, die Neulinge müssen stundenlang Kaffee kochen?“

Greg grinste und fuhr sich durch die hellbraunen Haare. „Normalerweise schon. Aber du bist eben ein besonders talentierter und hübscher Neuling. Da kann ich schon mal eine Ausnahme machen.“

Ich runzelte die Stirn. Flirtete Greg etwa mit mir?

„Okay“, sagte ich, „dann tauschen wir.“

„Aber lass dich nur nicht von den ganzen Stammgästen anbaggern, und wenn einer den vierten Espresso bestellt, halte dich von ihm fern“, flüsterte er mir zu und zwinkerte.

Die Tür öffnete sich und neue Kunden betraten den Coffeeshop. Zu den Stoßzeiten mussten sie sich in einer langen Schlange anstellen, um ihren Kaffee zu bekommen, während der Laden zu anderen Zeiten beinahe fast leer war. Der Morgen war die stressigste Zeit, da kamen die Leute in Massen, kurz vor der Arbeit oder den Vorlesungen. Dabei gab es die, die sich entspannt in die Warteschlange einreihten, die, die ständig nervös auf die Uhr schauten, und die, die ohne ihren Kaffee wie Drogensüchtige auf Entzug wirkten.

„Einen Cappuccino zum Mitnehmen“, bestellte ein dünner Typ mit Vollbart.

„Sonst noch einen Wunsch?“, fragte ich.

Er schüttelte den Kopf und sein Blick huschte ungeduldig zur Kaffeemaschine. Eindeutig ein Typ auf Entzug.

„Das macht 3,25“, sagte ich und rief Greg die Bestellung zu, während mir der Mann einen Schein entgegenstreckte. Ich gab dem Kunden sein Wechselgeld und er stellte sich an die Theke rechts von mir, auf der wir die fertigen Getränke servierten.

„Der nächste bitte“, sagte ich, bevor ich mir kurz einen Schluck Wasser aus meiner Flasche gönnte.

„Für mich bitte einen Latte Macchiato mit extra Milch, extra Zucker“, sagte eine Männerstimme und ich blickte hoch. Es war der Dozent von der Uni, dem ich den Kaffee über das Hemd geschüttet hatte.

„Kommt sofort“, entgegnete ich, lächelte kurz und gab Greg die Bestellung weiter.

Der Dozent lächelte zurück und sah mich intensiv an. Er hatte sanfte grüne Augen. „Vielleicht schaffen wir es heute ja, dass der Kaffee im Becher bleibt.“ Er zwinkerte mir zu. „Studierst Du nebenberuflich und arbeitest hauptberuflich im Coffeeshop?“, fragte er schmunzelnd.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, es ist natürlich andersrum“, antwortete ich.

„Dachte ich es mir doch“, entgegnete er und zog seine Geldbörse aus der Hosentasche. „Hast du schon ein Thema für deine Projektarbeit?“

„Ich möchte gerne über soziologische Diskriminierung aus rechtswissenschaftlicher Sicht schreiben“, sagte ich, während mir die ungeduldigen Blicke hinter dem Dozenten nicht entgingen. Die Leute warteten auf ihren Kaffee – und morgens länger auf den Kaffee zu warten, konnte zu ungewohnten Aggressionen führen.

„Das macht 4,25“, sagte ich. „Ich muss leider weiter arbeiten, sonst rastet hier vielleicht noch jemand aus.“

Der Dozent blickte sich um und nickte. „Stimmt. Der ganz hinten mit der Zeitung sieht besonders gefährlich aus. Also gut aufpassen“, meinte er und gab mir einen Schein. „Wenn du möchtest, können wir über dein Projektthema zur soziologischen Diskriminierung auch mal intensiver sprechen, vielleicht“, er schmunzelte, „bei einem Kaffee, den du nicht selbst zubereiten musst.“

 

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